Im Februar ist auf einer ‚Bise-im-Rücken-Tour‘ nach Neuenburg die Idee gereift, das Ganze bis nach Yverdon auszudehnen. Heute waren ideale Bedingungen – eine straffe Bise, die mich nach Westen bläst. Weniger lustig die Temperaturen um die 13°C. Ich starte in Solothurn und folge in einer ersten Phase der Route 44: Le Jorat – Trois Lacs – Emme. Südlich der Aare fahre ich dem Buechibärg entlang bis nach Büren an der Aare.
Was auf der Karte noch als ‚Museumsbahn‘ ausgewiesen ist, die alte Bahnstrecke Solothurn – Büren an der Aare, wird heute leider nicht mehr genutzt. Schade, aber wenigstens trifft man so auch in der Schweiz auf ein überwuchertes Bahngleis, etwas was man sonst eher aus anderen Ländern kennt. Weiter geht es entlang der alten Aare und saisonalen Kürbisfeldern nach Busswil. Die Strecke Busswil – Lyss erinnert mich an ein Ereignis aus Jugendjahren, wo ich mal im letzten Zug verschlafen hatte und dann diese Strecke mitten in der Nacht zu Fuss zurücklaufen musste (Genau, ohne Handywecker hatte man damals solche Probleme). 😉
In Aarberg wärme ich mich dank einer Elektroheizung unter dem Tisch auf dem Städtliplatz bei Kaffee und Gipfeli auf. Eins habe ich auf der letzten ähnlichen Tour gelernt, wenn ich nicht erfrieren will, dann keinesfalls die Pausen in Innenräumen machen. Weiter geht es entlang des Aare-Hagneck-Kanals und des Unterwasserkanals nach Kallnach. Mich fasziniert das grosse Moos immer wieder, nicht wegen dem Gemüse, sondern wegen der Juragewässerkorrektur, welche diese Landfläche urbar machte.
Ab Fräschels will ich dem Grossen Canal bzw dem Grand Canal bis Sugiez folgen. Der Kanal ist übrigens überhaupt nicht gross, sondern einfach ein Entwässerungsgraben, wie es im Moos viele gibt. Dafür ist es topfeben und mit dem Wind im Rücken kurble ich fast schwerelos in Richtung Sprachgrenze. Ein Verbotsschild ändert die Routenpläne. Unmissverständlich wird vom Betreten des Areals der Strafanstalt Bellechasse gewarnt. Der Perimeter scheint wir etwas übertrieben zu sein, aber ich riskiere trotzdem nichts und fahre in einem grossen Bogen um die Anstalt nach Sugiez (434m).
Wieso nicht den Mont Vully mitnehmen? Ich bin etwas irritiert über die Strassensperrungsschilder, fahre trotzdem auf dem Strässchen gegen den Berg. Auf halber Höhe ist Schluss, die Militärstrasse ist seit Mai 2021 wegen Abrutschgefahr gesperrt. So komme ich in den Genuss einer kurzen Wanderwegpassage rauf zum Triangulationspunkt auf den Mont Vully oder auf Deutsch dem Wistenlacher Berg (651m).
Auf der einen Seite geht es schroff runter in Richtung Bieler- und Neuenburgersee, auf der anderen Seite sieht man über den Murtensee. Ich wähle den direkten Weg nach Westen und fahre weiter entlang des flachen Bergrückens, die markante Antenne von Tremblex als Wegmarke.
Der Mont Vully war besonders im ersten Weltkrieg eine wichtige Verteidigungsstellung. Die militärischen Spuren sind überall erkennbar: Bunker, Panzersperren und wohl manch Weg auf dem ich heute fahre. Ich bin nun in einer Region, welche ich bewusst noch nie besucht habe. So gibt es das eine oder andere in den kleinen Dörfern zu entdecken. Beispielsweise der hohe Wasserturm von Montmagny.
Ab hier folge ich der Route 481: Les collines de la Broye, was den Charakter der Landschaft sehr gut beschreibt. Später führt die Mittelland-Veloroute Nr 5 bis nach Yverdon. Doch erst geht es auf einer alten, gesperrten Strasse durch den Bois de Charmontel runter nach Portalban und an das sumpfige Ufer des Neuenburgersees. Aber nur kurz, weil die Wegweiser wieder auf die Hügel führen und danach immer schön ‚wellig‘ bis nach Estavayer-le-Lac.
Jedes Mal wenn ich hier durchfahre, bin ich erstaunt was für ein schönes mittelalterliches Städtchen Estavayer-le-Lac doch ist. Gerne würde ich mehr Zeit verbringen und die Stadt und das Umfeld zu erkunden. Leider finde ich in der Altstadt kein Restaurant mit geeigneter Terrasse und langsam meldet sich der Hunger. Unten im Hafen werde ich im Le Nomade fündig und es gibt eine hervorragende Wildterrine und danach ein Rindstartar. Ich weiss, nicht die ideale Sportlernahrung, dafür schmeckt es so richtig nach Romandie.
Die restlichen Kilometer folgen definitiv den sumpfigen Auenwäldern des Ufers des Lac Neuchâtel. Langsam spüre ich die Distanz in den Beinen und auf dem Sattel. Also nochmals die Zähne zusammenbeissen, Hirn möglichst ausschalten und weiterradeln. Besonders die Gerade entlang der Kantonsstrasse zwischen Yvonand und Yverdon ist eine letzte mentale Prüfung. Aber alles hat eine Ende und schon bald rolle ich auf den Bahnhofplatz von Yverdon – geschafft! Retour mit dem ICE entlang des Jurasüdfusses nach Solothurn. Auf diesen Zügen muss der Veloplatz reserviert werden, was heute kein Problem ist. Scheinbar bin ich der einzige Biker auf dem Zug.
Fazit: Diese ‚Bise im Rücken nach Westen und mit dem Zug zurück‘-Idee gefällt mir immer mehr. Damit sind selbst grössere Distanzen kein Problem. So gibt es dieses Jahr wieder Mal ein ‚Hunderter‘ in der Statistik. Der nächste Level wäre eine Verlängerung nach Lausanne – mal schauen, ist wohl über meiner persönlichen Schmerzgrenze.
Statistik: 105.2 km, ca. 706 Höhenmeter, Fahrzeit 5:06 h
Cool, tolle Idee und schöne Eindrücke. Da es gut ist, zwischendurch die eigene Komfortzone zu verlassen, muss man auch nicht über die Schmerzgrenze nachdenken 🤣 … Lausanne ist das Ziel 👍