Die Trecciolino Tour !

Beim Durchforsten den Tourendatenbank von Ride fällt mein Blick auf die Trecciolino Tour. In den Kommentaren schreibt ein User, dass die Höhenmeter vorwiegend auf Treppenstufen vernichtet werden. Ich kenne Ride – Finger weg! Vielleicht in der umgekehrten Richtung? Das ist normalerweise keine gute Idee, doch mit Blick auf die Karte könnte das gut werden. Mountainbike ins Auto gepackt und von Verceia nach Mese (277m) gefahren. Beim Ausladen fällt das Bidon zu Boden und bricht bündig ab. Das ist mir auch noch nie passiert und jetzt weiss ich, wieso ich das nächste Mal Ersatz dabei habe. 😉

Neben der Kirche findet sich ein guter Parkplatz bei der Wertstoffsammelstelle. Am Kraftwerk vorbei führt eine kleine Teerstrasse steil durch das Quartier. Sie ist in einem Stil neu geteert, als würde gleich der Giro d’Italia hier durchfahren. Es folgt der lange Aufstieg durch die alten Kastanienwälder bis nach Voga (1057m). Die Steigung der Strasse ist sehr angenehm und ich fahre gemütlich auf dem zweitgrössten Ritzel bergwärts. Ich bin gut gelaunt, selbst mein Hinterteil hat sich am gestrigen Ruhetag erholt. Es ist angenehm kühl, trotz Sonnenschein. Immer wieder gibt es interessantes zu sehen. Links und rechts des Weges besonders die alten Terrassen und ebenso viele Hausruinen. Unglaublich der Aufwand, der betrieben wurde um den ganzen Berghang bis auf über 1000m Höhe zu terrassieren und zu bewirtschaften. Wie das früher wohl ausgesehen hat?

Bei Castanedi passiere ich den Friedhof, wieder mit hohen Mauern umzäunt und in ehrfürchtiger Distanz zum Dorf. Während des Aufstieges kreuzt der Downhilltrail immer wieder die Strasse, ein Treppenmassaker, nichts für meine beschränkten Fahrkünste. Die Dörfer Gradesella, Castanedi und Foppo sind willkommene mentale Zwischenziele. Überall das gleiche Bild, einerseits werden teils luxuriöse Häuser jenseits jedes Heimat- und Denkmalschutzes in den Berg gestellt und andererseits ist der Anteil an verlassenen Ställen und Häusern geradezu deprimierend. In Foppa gibt es wunderbare Aussichten in die Piano di Chiavenna bis runter zum Lago di Mezzola. Vis-à-vis thront eine Dreigestirn von Berg, das mit einem Blick auf die Karte wohl keines ist. Aber die Distanz der Berge mit unterschiedlichen Höhen ist oft schwierig einzuschätzen.

Foppa ist im übrigen bekannt durch seine Crotti, eine Besonderheit der Region. Es handelt sich um natürliche Felskavernen, die zur Aufbewahrung von Vorräten genutzt wurden. Dazu ein kleiner Schopf und ein Tisch und fertig ist das Grotto, was de facto das gleiche bedeutet. Beim weiteren Aufstieg gibt es einen Abstecher zur Kirche von Foppo. Unglaublich, was hier für einsame Kirchen in die Hänge gebaut werden. In Voga angekommen fühlt man sich wie in einem Geisterdorf, alles ausgestorben und viele Ruinen. Dafür ist die Aussicht einmalig und die Stimmung ebenso.

Wer möchte, könnte nun zu Fuss über den 2225m hohen Forcolaz in die Schweiz ins Misox wandern. Ich wende mich nach Osten und es geht los mit dem Trecciolino. Ich ersten Abschnitt geht es wunderbar flowig los, danach folgt eine kurze Schiebepassage und dann ein schöner Singletrail mit einem Wunderpanorama. Genau mein Ding!

Plötzlich sehe ich nach einer Kurve etwas Schwarzes im Wald und zucke kurz zusammen bis ich realisiere, dass es sich ’nur‘ um irgendwelche Berggeissen mit imposantem Kopfschmuck handelt. Interessiert gaffen sie in Richtung des Mountainbikers, um dann grasend das Weite zu suchen. Ich fahre weiter und stelle fest, dass die Vordergabel kein Druck mehr hat. Der Schraubverschluss hat sich gelöst und zum Glück habe ich die Dämpferpumpe mit dabei. Das hätte ins Auge gehen können und den Dämpferservice kann ich wohl definitiv nicht mehr aufschieben.

Der Trail behält die Höhe und bietet bei der Antennenanlage von Cigolino berauschende neue Aussichten nach Chiavenna hinunter und weit das Bergell hinauf in Richtung Maloja. Ich erkunde erst den Aussichtspunkt und biege dann in den weiteren Flowtrail ein, der sich nun in Richtung Val San Giacomo und Splügenpass schlängelt.

Die Trails sind trotz des Regentages furztrocken. Ich denke der steife Bergwind fegt hier die Feuchtigkeit innert Stunden weg. Weiter geht es relativ flach nach Tecciato. Eine gefasste Quelle weist darauf hin, dass der Weg vielleicht als Wasserleitung dient oder diente, in jedem Fall stimmt dazu das Gefälle.

In Sommarovina (956m) ist Schluss mit Höhenwegflow. Zuerst auf engen Feld-, später auf Asphaltserpentinen werden über 500 Höhenmeter vernichtet. Zwar kein Singletrail, aber dafür auf einer sehr interessanten Strasse. Es gibt tolle Tiefenblicke auf den Liro und die Splügen Passtrasse. Erstes Fazit: Alles richtig gemacht. Der Trecciolino lohnt den Aufstieg in beide Richtungen, Fahrtechniker gegen den Uhrzeigersinn und die anderen eher auf meiner Variante.

In San Giacomo Filippo verzichte ich auf die Ehrenrunde über Chiavenna und biege direkt auf die legendäre Via Spluga ein. Der Weg wurde am rechten Ufer kinderwagentauglich ausgebaut. Als der Weitwanderweg das Ufer des Liro wechselt, bleibe ich auf der rechten Seite und fahre die verwilderte Alternativroute auf Singletrails und über brüchige Brücken runter zum Auto nach Mesa.

Fazit: Super, eine unerwartete Toptour nach meinem Gusto!

Statistik 25.9 km, ca. 964 Höhenmeter, Fahrzeit 3:11 h

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