Langsam bräuchte ich einen Ruhetag, aber das Wetter ist zu schön und das Tourenangebot zu gross. Der 2. Teil von Glausers Dynamite Freeride Tour lockt mich. Also rein ins Auto und die 20 Minuten bis zur Talstation der Gondel in Santa Caterina gefahren. Sowohl auf der Hin- wie Rückfahrt kreuze ich unzählige Transalper in schweren Rucksäcken, die sich das Valfurva und später wohl den Gaviapass raufquälen. Sowas hat für mich nichts mit Mountainbiken zu tun, umso mehr als sich die Strecke auch auf einer Forststrasse zurücklegen lässt.
Mindestens könnte man für 12 EUR die Gondel helfen lassen. Genau das tue ich in meinem Fall. Dabei nerve ich als einziger Gast den Bahnwärter weil die Türe blockiert und die Bahn abstellt. Es ist aber definitiv nicht einfach ein Mountainbike im richtigen diagonalen Winkel in die Gondel zu kriegen – von Plus Reifen sprechen wir gar nicht. Die Bahn katapultiert mich von 1720m nach Sunny Valley auf 2640m. Man könnte auch auf der Krete auf 2720m aussteigen und rechterhand den Trail zur Lodge runter nehmen. Hab’s zu spät realisiert.
Ausser ein paar Bauarbeiter bin ich alleine in dieser alpinen Umgebung. Ein flowiger Trail führt über die Alpwiesen in Richtung Passo dell’Alpe. Bei einem Steincanyon wird der Trail ruppiger und fordert Konzentration. Tunnels im Berg deuten auf einen militärischen Ursprung der Wege hin und tatsächlich haben hier die Italiener den Übergang befestigt. Rostiger Stacheldraht liegt nach hundert Jahren immer noch in den Alpwiesen rum – Zeit zum Nachdenken!
Auf dem Passo dell’Alpe (2460m) weidet eine riesige Schafherde, die sich vom Mountainbiker nicht stören lässt. Sowohl die Mountainbike-Schilder, wie der ausgefahrene Trail weisen darauf hin, dass ich hier nicht der einzige auf dem Bike bin. Die Abfahrt zum Passo war schon toll und im gleichen Stil geht die Schotterabfahrt zur Gavia Passstrasse weiter. Noch besser wäre wohl der Wanderweg auf der rechten Talseite.
Ab der Höhenkurve 2300m fahre ich dem bekannten Gavia Pass (2621m) entgegen. Nach dem Stelvio scheint der Gavia das zweite ‚must have‘ der lokalen Rennradfahrer zu sein. Die Strasse ist kurzweilig und die Steigung relativ angenehm zu fahren, speziell wenn man dank Gondel noch frische Beine hat. Der Strassenzustand schwankt zwischen Schlaglochpiste und Giro d’Italia Asphalttraum.
Etwas unterhalb der Passhöhe steht ein heroisches Denkmal vor der Gletscherkulisse der Monte Cevedale Gruppe. Das Monument gedenkt den italienischen Alpini, die sich hier im Gebirgskrieg auf 3500m sinnlose Schlachten mit den Truppen von Österreich-Ungarn lieferten. Der Gaviapass selber ist eine schöne Hochebene mitsamt einem kleinen See.
Um den Pass zu sichern, wurde auf beiden Seiten je eine abenteuerliche Militärstrasse, oder besser ein Militärpfad, in die Flanken des Como dei Tre Signori bzw des Monte Gavia gehauen. Beide scheinen mindestens abwärts befahrbar zu sein. Ich versuche es mit der östlichen Variante hinauf zum Punkt mit dem klingenden Namen ‚Belvedere‘.
Der erste Abschnitt ist eine quer über die Hochebene verlegte Felsplattenautobahn. Hier hat sich jemand so richtig Mühe beim Wegbau gemacht. Hundert Jahre später ist das ganze etwas erodiert, mit Schwung und der richtigen Linienwahl lassen sich die Platten knapp befahren. Bis auf etwas 2700m kann man im Sattel bleiben, bevor der Weg in vielen Serpentinen den Berg erklimmt.
Ab hier muss das Mountainbike geschoben und auch mal über eine Stufe getragen werden. Die Spitzkehren machen den Aufstieg abwechslungsreich und auch hier erstaunt die technische Qualität des Weges. Das Belvedere (3014m) macht seinem Namen mit einer tollen Rundumsicht alle Ehre. Zur einen Seite liegt tief unten der Gaviapass, zur Schattenseite sterben die letzten Reste des Sforzellina Gletschers den langsamen Klimatod.
Ich geniesse den geschafften Aufstieg und die Aussicht und raste im Windschatten einiger Steine eine ganze Weile. Immer wieder schön, wenn man mit Muskelkraft das Mountainbike über die 3000er Grenze bringt. Unter den ungläubigen Blicken einer Wandergruppe bereite ich mich für die Abfahrt vor. Zu meinem eigenen Erstaunen ist fast die gesamte Abfahrt zurück zum Gavia fahrbar. Ein echtes Fahrtechnik – Militärwegtrail – Fest!
Auf der Passstrasse geht es zurück bis zum Rifugio Berni. Hier überquere ich den Gavia Bach und nehme den alpinen Singletrail auf der rechten Talseite. Der Weg ist anspruchsvoll, aber über weite Strecken fahrbar. nach rund einem Drittel und einer Steilstufe überquert man eine tolle Naturbrücke, die Ponte di Pietra.
Während sich der Bach immer tiefer eingräbt, bleibt der Pfad auf über 2400m Höhe und quert die immer steiler werdende Talflanke. Kurz vor der nächsten Weggabelung kommt unverhofft eine Schlüsselstelle. Bei den hohen Temperaturen ist ein Rinnsal mit Schmelzwasser des Vedretta di Tresero Gletschers mächtig angeschwollen. Was auf dem Foto unten harmlos aussieht, entpuppt sich als echte Herausforderung.
Talwärts kommt mir ein älterer Wanderer entgegen und kehrt angesichts des Baches wieder um. Und ich? All die Kilometer wieder das Tal hinauf zum Rifugio? Das sind genau die Situationen, in denen man etwas mehr Risiko nimmt als es gesund wäre. So brauche ich das Bike als Stabilisator und quere mit ziemlich erhöhtem Puls auf rutschigen Steinen den Bach – überlebt… 😉
Es folgt ein spassiger und über viele Abschnitte flowiger Singletrail zurück nach Santa Caterina. Zeitweise ist der Trail ziemlich ausgefahren und eine Trailcrew, die Wegunterhalt betreibt, wäre hier sinnvoll.
Fazit: Eine erneut epische Tour mit hohem Singletrailanteil in einer historisch eindrucksvollen Umgebung. Die Tour lässt sich mit verschiedenen anderen Touren kombinieren und eine alternative Variante fuhr im letzten Jahr beispielsweise Chregu im Rahmen seiner Transalp.
Statistik: 27.9 km, ca. 874 Höhenmeter, Fahrzeit 3:20 h, ca. 1717 Höhenmeter abwärts
Habe die Gegend um St. Catherina auch in guter Erinnerung (Zebru-Befahrung).
Das Sunny Valley hab ich noch nicht geschafft – vielleicht klappt’s bei einer anderen Gelegenheit…
Hehe das kenne ich, der körper bräuchte einen ruhetag aber der geist schreit nach immer mehr trails und wenn dann noch das wetter passt wie hier 😉
Super eindrücke und einfach genial diese hochgebirgslandschaft mit den seen und bilderbuchtrails 8)
Auch mich als zivi faszinieren solche militärhistorischen hintergründe immer wieder, unglaublich unter was für anstrengungen diese bauten und wege damals errichtet wurden.
Super