Gestern Radweg – heute Radweg! Wir buchen im Hotel die Tagestour und fahren mit dem Shuttle von Latsch (640m) nach Graun im Vinschgau (1501m). Das verspricht einige Abfahrtsmeter. Der Fahrer wirft uns auf dem Parkplatz bei der halb versunkenen Grauner Kirche raus und wir starten bei relativ kühlen Temperaturen und stahlblauem Himmel. Der versunkene Kirchturm animiert zu einer ausgiebigen Fotosession. Der Glockenturm ist schliesslich DAS Symbol für den Reschensee.
Wir fahren nicht bergab, sondern erst dem See entlang in Richtung Norden bis zum Dorf Reschen, welches nur 2 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt ist. Am anderen Seeufer fädeln wir in den bereits gestern beschriebenen Etschtaler Radweg ein, der 80km weit von hier bis nach Meran führt (und bis Verona weiter beradelt werden kann). Die Aussichten über den mehrheitlich gefrorenen See und weiter zum mächtigen Ortlermassiv sind fantastisch.
Während wir bereits in kurzen Hosen dem See entlang fahren, geniessen die Skifahrer noch den Frühlingsschnee im Skigebiet Zehnerkopf. Immer wieder halten wir an und geniessen die beeindruckende Landschaft. Wir sind übrigens fast alleine auf dem Radweg unterwegs.
Am Südende des Sees kann man die Staumauer und die Überlaufbecken bestaunen und gleichzeitig bereits zum nächsten Ziel blicken, dem Haidersee. Der Weg entlang des Seeufers ist kurvig, hügelig und somit spassig. Am Ende angelangt sollte man nochmals die Bremsen kontrollieren, denn nun geht es so richtig runter. Auf wenigen Kilometern verlieren wir 500 Höhenmeter und der asphaltierte Radweg verleitet zu Höchstgeschwindigkeiten. ‚Zum Glück muss ich hier nicht rauffahren‘ – geht mir durch den Kopf.
Auf der Fahrt durch die Dörfer Burgeis, Schleis, Laatsch (mit 2 a!) nach Glurns sollte man trotzdem einige Male kurz innehalten – Sei es beispielsweise zum Betrachten der Fürstenburg (so ein Schulhaus hätte ich auch gerne gehabt) oder für einen Abstecher zur Abtei Marienberg. Im unteren Teil fährt man an Festungsanlagen verschiedener Epochen vorbei, die den Übergang des Reschenpasses sicherten.
Mitten im Tal und strategisch positioniert bei der Abzweigung des Münstertales liegt das Städtchen Glurns mit seiner vollständig erhaltenen Stadtmauer und dem mittelalterlichen Flair. Wir essen auf dem Dorfplatz im Gasthof zum grünen Baum und wundern uns, dass man hier immer noch den ganzen Verkehr in die Schweiz durch die engen Gassen und das Stadttor schleust. Hier trennen sich temporär die Wege meiner Gattin von meinen Trails. Ich keuche bei nunmehr warmen Temperaturen einen Apfelhain hinauf um den Einstieg in die Zugtrails nicht zu verpassen.
Bis zur Ruine Lichtenberg gibt es gleich mal Trailspass pur. Der handtuchbreite Singletrail ist trotz Nordhang staubtrocken und genial zu fahren. Da muss man das Wort ‚Flow‘ einfach in den Mund nehmen. Gebremst wird maximal für Raupen und für das Panorama.
Bei Lichtenberg kann man kurz die Burgruine erforschen, um anschliessend in neuer Frische den Zwischenanstieg zur Kirche St. Christina und zum Hof Pinet zu schaffen. Ab hier geht es weiter mit dem Trailrausch…
…und wird nur kurz gestoppt durch überdimensionale Waldameisen. Im weiteren Verlauf folgt man einem alten Waalweg, der natürlich wieder Flowgarantie hat. Leider mündet der Weg zu rasch in einer Felsflanke ins Tal zum Stilfserjoch, wo mit dem Bike kein Durchkommen ist. Die Alternative ist ein kurzer aber toller Serpentinenweg runter ins Tal und weiter nach Prad, wo ich wieder auf meine Frau treffe.
Vereint fahren wir auf dem Radweg entlang der Etsch in Richtung Laas, bevor ich mich kurz vor dem Dorf wieder in Richtung südliche Talflanke verabschiede. Entlang der Bobbahn geht es erst mächtig steil nach oben. Der anschliessende Wald- und Wanderweg ist aber wieder ein Genuss. Spektakulär ist die Querung der Laaser Marmorbahn. Sie ist noch in Betrieb und man sollte schon etwas vorsichtig sein. Eindrücklich die weissen Riesenmarmorblöcke, die hier aus dem Berg geholt werden.
Es folgen nochmals zwei kräftige Aufstiege bevor der Weg hoch über dem Tal weiter die Talflanke quert. Mit dabei sind geniale Tiefblicke ins Tal, auf die Apfelplantagen und in die Dörfer. Tief unter mir schlängelt sich der Radweg entlang der Bahnlinie in Richtung Meran und ich schaue immer wieder ob ich meine Frau entdecke.
Langsam schmerzen die Beine von der Tour, aber es lohnt sich, weil oberhalb von Göflan plötzlich linkerhand ein gelbes Schild mit der Aufschrift ‚Holy Hansen Tour‘ leuchtet. Der Holy Hansen ist einer dieser legendären Trails im Tal, die ausschliesslich für Mountainbiker in den Berg gegraben wurden. Ich stelle den Sattel tiefer und biege voller Erwartungen in den Trail ein. GENIAL! Viel zu rasch ist das Teilstück zu Ende und zum letzten Mal gewinne ich wieder an Höhe, um diese Tour auf dem 4er Trail durch den Talairwald runter nach Morter ausklingen zu lassen.
Statistik Tour: 65.3 km, ca. 1247 Höhenmeter, Fahrzeit 4:47h, 2193 Höhenmeter abwärts
Schönes Ding, letztes Jahr dort unterwegs gewesen, ich zehre noch heute davon.
Auf die riesige Ameise stehe ich! Die sah ich noch nie.