Einige Touren brauchen etwas länger, bis sie unter die Räder kommen. So geschehen mit der Tour ‚La Voie du Tram‚ in der Region ‚Terre Valserine‚. Beim ersten Versuch Mitte Mai schaffte ich es nur bis zum Startparkplatz zwischen Bellegarde-sur-Valserine und Lancrans, als die ersten Regentropfen fielen. Alles wieder eingepackt und eine Autotour durchs ganze Valserine gemacht, bis La Cure – übrigens auch eine Empfehlung. Das zweite Mal hatte es ab Genf so viel Stau, dass ich noch vor Bellegarde entnervt umkehrte. Heute bei 34° C und schönem Wetter hat es nun geklappt.
Die Strecke führt alles auf der eingestellten Tramlinie von Bellegarde-sur-Valserine nach Chézery-Forens. Besonders die ersten Kilometer bis zur Brücke sind auf Schotter und ein Genuss. Danach geht es leider auf Asphalt weiter, die wilde Juraregion entschädigt für den harten Untergrund. Auf der Strecke sind 13 Schilder aufgestellt, die im Detail die Geschichte des Trams nacherzählen, faszinierend. Zusätzlich stehen am Wegrand 10 Northshore-Elemente, von leicht bis schwer, eine tolle Idee, welche die leichte Steigung mit dem Mountainbike sehr kurzweilig macht.
Das Tram fuhr von 1912 bis 1937 und es ist nicht wirklich erstaunlich, dass sich die Linie ins Nirgendwo finanziell nicht lohnte. Aber zur Jahrhundertwende baute man ja wie verrückt überall Eisenbahnen hin. Wer mehr wissen will zur Geschichte des Trams findet auf Wikipedia und hier weitere Infos.
In Confort erinnert ein Restaurant in einem Eisenbahnwagen ebenfalls an das Tram. Gleich danach sehe ich an einem Baum erneut einen Aushang bezüglich zweier vermisster Hunde. Wow, die Langhaardackel sind echte Ausreisser, wenn sie von hier über die höchste Jurakette gelangt sind! Mehr dazu in diesem Beitrag. Nun geht es die steile Bergflanke runter in die Schlucht und Mann staunt über die Idee erstens hier ein Tram zu bauen und zweitens noch die Valserine zu überwinden.
Höhepunkt ist definitiv der Tramviadukt über die Schlucht, der Pont du Moulin des Pierres. Zu ihrer Zeit war das Bauwerk mit 65m Spannweite und über 80m Höhe eine der grössten Mauersteinbrücken der Welt. Die Bilder der Holzkonstruktion für den Bau sind sehenswert. 1944 wurde die Brücke durch die Résistance gesprengt und 1954 nach dem Krieg als Stahlbetonbrücke wieder aufgebaut. Wenn die Brücke der Star ist, ist die Schlucht der Valserine, mit ihren steilen und tief abfallenden weissen Kalksteinwänden im grünen Waldmeer, die grandiose Naturbühne.
Ab hier wurde das Tramtrassee zu einer breiten Strasse, der D14, ausgebaut. Kurz profitiere ich noch vom schattigen Wald, bevor ich in der brütenden Abendsonne nach Montanges hinauffahren muss. Der flache Steigungswinkel und die langgezogenen Kurven lassen den Ursprung der Strassenführung deutlich erkennen. Montanges ist eines der vielen Villages Fleuris in Frankreich, leider nur eine Blume, die kriegt man wohl mit einigen Blumentöpfen am Dorfein- und -ausgang. Trotzdem, schön die Blumen!
Das Dorf Champfromier glänzt mit einer alten Brücke, die mich ein wenig an die berühmte Brücke von Mostar erinnert. Der Flurname ‚Le Pont d’Enfer‘ weist zusätzlich auf uns Schweizern nicht unbekannte Brückenlegenden hin – obwohl es sich hier sicher um eine andere Deutung handelt. Alles zu Champfromier kann man hier nachlesen. Nach dem Dorf geht es nochmals rauf und ich kämpfe wirklich sehr mit der Hitze und den unverhofften Höhenmetern. Da kommt der kurze Abschnitt durch den dunklen, kühlen Tramtunnel wie gerufen.
Mal auf dem alten Trassee, mal auf der Strasse, fährt man hinunter nach Chézery-Fornens. Ich bin richtig ausgepumpt, so eine Tour nach einem heissen Arbeitstag ohne Mittagessen ist keine gute Idee. Zum Glück rettet mich der kalte Teller und der Liter San Pellegrino im Hotel – Restaurant du Commerce. Sowohl Bedienung wie Küche ist lokal, rustikal – sehr gut! Bis auf eine Familie, die wohl Eseltrekking macht, und mittelaltermässig im Gasthaus gegenüber die Esel unterstellt, läuft hier wenig bis nichts.
Für die Rückfahrt versuche ich zu viel Höhenmeter zu vermeiden und nehme das linke Flussufer über die D991. Die Strasse führt durch einen wunderbaren grünen und natürlichen Wald, immer steil der Fluh entlang und immer abwechslungsreich. Öfters gibt es grandiose Ausblicke über das Valserine und die geologisch sehr interessante Region rund um Bellegarde. Trotzdem bin ich froh endlich die Scheitelhöhe erreicht zu haben und ab Confort runter auf den Tramway abzubiegen,
Fazit: Auf ehemaligen Eisenbahnlinien kann man als Radfahrer selten etwas falsch machen. Für mich war das wieder eine Tour, die Naturerlebnis und Kulturgeschichte perfekt in Einklang bringt. Überhaupt ist die Region sehr abwechslungsreich, relativ unbekannt und trotz der Nähe zu Genf wilder als man denkt. Nur Trails gibt es keine, dafür kann man etwas auf den kurzen Northshore Elementen spielen.
Statistik: 32.6 km, ca. 520 Höhenmeter, Fahrzeit 2:08 h