Auf den heutigen Tag habe ich mich gefreut. Es geht in ein besonderes Tal, das Valle di Lei. Schon die Anfahrt ist speziell. In der Roflaschlucht sollte man die Abzweigung ins Avers nicht verpassen und danach geht es durchs Val Ferrera bis hoch zu einem Tunnel, der direkt auf der Staumauer endet. Diese liegt dank einem Landtausch mit Italien heute auf Schweizer Boden, während das Tal in Italien und von dort per Auto nicht erreichbar ist. Übrigens ist das Val di Lei das einzige italienische Tal, das gegen Norden zum Rhein entwässert.
Da wir mit zwei Autos unterwegs sind, lasse ich mein Auto auf dem grossen Parkplatz in der Roflaschlucht (1101m) stehen und shuttle mit meiner Frau rauf zur Staumauer auf 1932m. Neben dem Tunnelportal zeigt eine kleine Ausstellung die Baugeschichte dieser schönen Bogenstaumauer. Mit zwei 15km langen Seilbahnen wurden Mensch und Material aus Campodolcino herbeigeschafft. Heute sind davon im ganzen Tal relativ hässliche Betonspuren im Gelände sichtbar. Der Lago di Lei ist übrigens der drittgrösste Stausee der Schweiz.
Wir beginnen unsere sehr gemütliche Biketour entlang des Sees. Eine wunderbare Fahrstrasse führt ohne nennenswerte Höhenunterschiede rund 10 km am Ufer entlang. Ab dem ersten Kilometer ist es einsam und eindrücklich: Der langgezogene See, die schroffen Felswände, die Ruhe.
Immer wieder halten wir kurz inne und bestaunen die Natur, Alpenrosen, Wasserfälle, Murmeli, Kühe, Felsplatten und Bauwerke aus alter Zeit. Unten beim Wasser warten einige Fischer auf guten Fang und ein einsamer Gemeindearbeiter bessert die Winterschäden am Weg aus. Die Alpe Mottala und Alpe Pian del Nido (1951m) schliessen das Tal ab und bei der kunstvollen Steinbrücke ist der bikebare Weg zu Ende.
Wir packen die mitgebrachte Salsiz aus, setzen uns auf einen Findling, blicken auf den See und schauen den zahlreichen Murmeli zu. Perfekt! Auf gleichem Weg, aber mit neuer Blickrichtung und deshalb neuen Eindrücken fahren wir zur Staumauer zurück.
Unterhalb der Staumauer bei der Alpe del Crot kehren wir im Rifugio Baita del Capriolo ein. Der Wirt ist leider ziemlich am Anschlag mit dem Besucheraufkommen und so herrscht bei den Gästen etwas miese Stimmung. Die Corona Massnahmen machen das ganze nicht besser. Egal, wir kriegen irgendwann trotzdem etwas und lassen uns die gute Laune nicht vermiesen.
Während meine Frau in Richtung Hotel fährt, nehme ich den zweiten Teil der Tour in Angriff. Vor dem Bikedessert steht ein bissiger Anstieg auf der ehemaligen Baustrasse zum Passo del Scengio / Furgga (2167m) an. Geschafft! Nun geht es 1000 Höhenmeter runter in die Roflaschlucht. Ich muss zu Beginn die Freude über die Abfahrt einbremsen, um nicht zu schnell über die felsigen Alpweg zu fahren. Oberhalb der Talstrasse versuche ich mich auf dem parallelen Wanderweg – keine sinnvolle Idee!
Ein Verein stellt die alte Averserstrasse instand und baut zusätzliche Wanderwege entlang der Teilstücken, wo nur die Fahrstrasse durch die enge Schlucht führt. So lassen sich spektakuläre Abschnitte des alten Weges per Bike zurücklegen. Leider hat ein Felssturz nicht nur die neue Strasse, sondern auch den alten Weg mitgerissen. Auf wackeligen Baubrettern kann man mit dem Bike über den Abgrund balancieren. Die italienische Grenze des Valle di Lei führt übrigens bis auf wenige Meter an die Brücke ran.
Der weitere Wanderweg ist bis auf einen Abschnitt vor Innerferrera mehrheitlich nicht befahrbar und ich bleibe auf der Strasse. Weiter durch den Dorfkern von Innerferrera, bei La Trappla wechsle ich auf die andere Talseite und dann wieder retour auf die alternativlose Talstrasse durch die Schlucht (siehe Karte) nach Ausserferrera.
Vorbei geht’s am Boulder Mekka Magic Wood und den Ruinen der Schmelza. Die Geschichte des Bergbaus in diesem Tal wären ein eigener Beitrag und Ausflug wert. Vor der Averser Brücke biege ich ein letztes Mal auf die alte Strasse ab, bevor diese Abfahrt auf dem Parkplatz des Gasthauses Rofla endet.
Fazit: Erneut keine Singletrailtraumtour, aber landschaftlich wie kulturhistorisch ein absolutes Highlight! Für den Abschnitt Andeer – Campsut sehe ich bergauf keine sinnvolle Alternative zur Talstrasse, die auf dem Mountainbike definitiv kein Spass machen dürfte. Insofern kann ich nur die ‚Shuttle‘ Variante empfehlen. Ansonsten lohnt sich in jedem Fall die kleine ‚Stauseerunde‘ am Lago di Lei.
Statistik: 42 km, ca. 452 Höhenmeter, Fahrzeit 3:02 h, ca. 1266 Höhenmeter Abfahrt
PS: Gerne verweise ich noch auf eine Dokumentation von SRF zum Lago di Lei.