Das heutige Ziel ist das Val Viola, das ich bereits von meiner Alta Rezia Mehrtagestour kenne. An- und Rückfahrt folgt der Decauville & Cancanoseen Tour von Trails!. Aus Bormio (1220m) raus in Richtung Westen und auf den wunderbaren Radweg entlang des Adda. Ab Pemadio folge ich dem Mountainbikewegweiser über den Fluss hinauf zum Hügel Le Motte (1430m). Der wurzlige Waldbodenweg geht gleich zur Sache und für den frühen Morgen ist es ordentlich steil!
Die Höhenmeter werden umgehend auf der Strecke des Alta Valtellina Bike Marathons vernichtet, der hier in wenigen Tagen stattfindet und bereits einige Trainingsbiker anlockte. Nach dieser Aufwärmzusatzrunde bin ich wieder auf dem Radweg, nunmehr entlang der Viola Bormina. Alles ist frisch asphaltiert und es fährt sich im kühlen Talgrund fast von alleine durchs Valdidentro.
Bei Semogo ist fertig lustig und auf einer steilen Nebenstrasse geht es nach San Carlo. Ab hier muss man auf der Passstrasse des Foscagno weiterfahren. Die Strecke auf der breiten Strasse und dem Morgenverkehr nach Livigno nerven mich so, dass ich noch einen separaten Blogbeitrag über die folgenden vier Kilometer schreiben muss. Zum Glück kommt das Hotel Li Arnoga (1880m) in Sicht und auf einer angenehmen Terrasse in der Spitzkehre der Strasse tanke ich bei frischen Getränken auf.
Hier zweigt die Strasse ins Val Viola ab. Ab Beginn bin ich wie beim letzten Besuch vom Charakter des Tales begeistert. Die Anfahrt auf dem kleinen Strässchen ist ein wahre Freude. Je mehr man ins Tal fährt, umso wilder und natürlicher wird die Landschaft und besonders die Gletscher der Cima Viola ziehen die Blicke magisch an. Auf 2160m verlasse ich den Hauptweg und biege ab in den Talkessel der Alpe Dosdè.
Auf mehrheitlich tollen Singletrails fahre ich entlang der Viola Bormina – dabei gibt es alle Herausforderungen von alpinen Singletrails. Wer Lust hat kann auf gletschergeschliffenen Granitblöcken sogar etwas Slickrock – Feeling schnuppern. Die Trails enden erst in Baite Paluetta, wo der Charakter des Weges markant ändert.
Hier startet die berühmte Decauville – eine ehemalige Schmalspur-Güterbahnstrecke – benannt nach ihrem Erbauer. Der Start ist auf 1880m, nach rund 13 Kilometer endet die Strecke unterhalb der Torri di Fraele auf immer noch 1880m! Die Bahn wurde für den Bau der zweiten Cancano Staumauer angelegt. Was genau in welche Richtung transportiert wurde ist mir aber trotz intensiver Internet-Recherche bis heute unklar.
So radelt man entspannt auf der abwechslungsreichen Strecke dahin und schaut das sich verändernde Panorama an. Je näher man Bormio kommt, umso steiniger und wilder wird das Gelände und die Bahn scheint einen relativ engen Kurvenradius gehabt zu haben. Schon bald kommt der grosse ‚Schuttkegel‘ unterhalb des Fraélepasses ins Blickfeld.
Für militärische Zwecke und und für den Bau der Staumauern hat man eine eindrucksvolle Spitzkehrenstrasse in den Hang gebaut. Im Internet las ich, dass hier Baumaterial mit elektrifizierten Lastwagen vom 50km entfernten Tirano angefahren sind! Oben stehen stolz die beiden Torri di Fraéle, welche den früher wichtigen Übergang in Richtung Schweiz bewachten.
Schon länger donnert bedrohlich ein Gewitter durch das Valtellina und ich gebe Gas, da die Hochebene des Cancano Stausees etwas ausgesetzt ist. Die Beine sind müde und ich muss trotz der wenigen Höhenmeter bis zur Staumauer ziemlich kämpfen. Ein Starkregen rollt das Tal vom San Giacomo her auf. Mit Vollgas schaffe ich es trocken hinauf zur Kirche San Ersamo und warte den gröbsten Regen ab.
Noch einige Höhenmeter in schwülnasser Gewitterluft und es folgt die Abfahrt durch den Dosso della Baita zur Caserma Boscopiano. Die Abfahrt ist teilweise so richtig steil auf einem relativ gut zu fahrenden Schotterweg. Leider ist in meinen Beinen total die Luft draussen, hätte vielleicht irgendwo etwas Essen sollen. 😉 So muss ich beim ersten und zweiten Gegenanstieg trotz der wenigen Meter leiden. Kurz vor der Stelviopassstrasse sehe ich noch Fotografen mit Superteleobjektiven auf der Suche nach Adlern (oder Bartgeiern) in den steilen Felswänden des Corne del Palone.
Bei den Bagni Vecchi zweige ich von der Passstrasse ab und nehme den alten Weg zu den Bädern. Ich hätte grösste Lust ein ausgiebiges Thermalbad zu nehmen. Die Lage, das rustikale Setting und die tolle Aussicht auf das Tal wären perfekt. Ich bewahre mir das für eine Visite zu einem kälteren Zeitpunkt auf. Auf jeden Fall ein Grund um wieder nach Bormio zu kommen.
Durch den Wald geht es runter zu den Bagni Nuovi. Dabei komme ich an der Grabstätte von zwei deutschen Bergsteigern vorbei, die beim Aufstieg auf den Monto Cevedale 1878 tödlich verunglückten. Die Dorfbevölkerung weigerte sich, die beiden Protestanten im Dorffriedhof zu begraben und dank einer Spende der Familie Planta ruhen sie nun mitten im Wald.
Fazit: Eine sehr schöne und lange Tour mit vielen interessanten Aspekten. Die Tour lässt sich zudem in vielen Varianten kürzen oder um die Seen im Valle di Fraéle rum verlängern. Die Strecke der Decauville ist ebenfalls Teil der neuen Ciclovia dell’Energia.
Statistik: 60.6 km, ca. 1509 Höhenmeter, Fahrzeit 4:56 h