Ich war müde und habe lange geschlafen. Beim Frühstück kämpfte die Wirtin mit den COVID-19 Vorschriften und mir fiel erneut auf wie unterschiedlich von Beiz zu Beiz, von Hotel zu Hotel und besonders von Kanton zu Kanton die Hygienemassnahmen angewandt werden. Eigentlich hatte ich keine Lust weiterzufahren, draussen war das Wetter schlecht wie gestern und die Sichtweite irgendwo bei 50m. Aber Jammern hilft nix und so startete ich auf die Etappe 6 der Jura Bike. Zu Beginn gleich mit einem längeren Singletrail über die Kuhwiese und entlang des Waldrandes.
Die wurzeligen Stellen, gepaart mit glitschigem Jurakalk und meinen schmalen Hardtail-Reifen, bringen mich gleich ans Limit. Es ist volle Konzentration gefragt und zum Glück geht die Route ab Les Planchettes in ein Strässchen über. Die Abfahrt bleibt rassig, vernichtet 400 Höhenmeter und endet erst auf 834m, tief in der Schlucht des Doubs, aber immer noch hoch über dem Fluss. Nun geht es auf einem Schotterweg durch die Felsenbarriere der Grande Beuge und entlang der Côtes de Moron.
Die Strecke hoch über dem Doubs bzw des Lac de Moron ist idyllisch und waldig. Im Winter dürfte die Szenerie dank freier Sicht noch eindrücklicher sein. Beim Saut du Doubs (738m) stelle ich das Bike am Rastplatz ab und steige zu Fuss zum Wasserfall ab. Ein grandioser Anblick wie der Fluss hier 27 Meter – tosend, schäumend und wild – in einen tiefen Kessel fällt. Das ist nicht selbstverständlich, weil der Doubs öfters wenig oder kein Wasser führt und unterirdisch abfliesst. Ich bin heute an dieser Touristenattraktion mutterseelenalleine und geniesse diesen Umstand. Einzig zwei Grenzwächter kontrollieren zu Fuss die verbarrikadierte Fussgängerbrücke nach Frankreich.
Unweit des Wasserfalles staut eine Mauer den Doubs in Form des Lac des Brenets erneut über mehrere Kilometer auf. Ein langes Strässchen führt stetig die steile Felsflanke nach Les Brenets (842m) hinauf. Ich teile mir die Aussicht einzig mit dem gelben Auto des Pöstlers und kann so die Strecke ungestört geniessen.
Das Dorf Les Brenets hat den lokal beeinflussten quadratischen Grundriss übernommen und die Kirche thront hoch über dem See. Der Ort in Balkonlage sieht weit hinüber nach Frankreich. Diese privilegierte Lage führte 1890 zum Bau der Bahnstrecke Le Locle – Les Brenets. Die damalige Dampflokomotive steht heute als Schaustück am Strassenrand. Während die Bahn für die Weiterfahrt den Tunnel nimmt, muss ich über den Hügel Les Malpierres (1028m).
Als Dank gibt es eine schöne Aussicht über Le Locle (917m), die zweite Industriestadt im Neuenburger Jura. Sie ist gleich hässlich und zugleich gleich faszinierend wie ihre grosse Schwester. Riesige Fabrikareale und die Namen berühmter Uhrenmanufakturen bestimmen das Stadtbild. Meine Suche nach einem wärmenden zweiten Frühstückskaffee ist leider erfolglos. Die ausgeschilderte Route führt mich zu rasch zurück ins Grüne, in Form der Combe Girard. Der Graben ist etwas märchenhaft, mindestens bis zum giftigen Anstieg auf das Plateau, wo es einen letzten Panoramablick nach Le Locle gibt.
Stetig steigt der Weg in Richtung Grand-Sommartel an und zieht sich dabei in die Länge. Der Skilift wurde wohl länger nicht mehr gebraucht und steht noch trostloser im Wetter als dieses selber ist. Ab 1000m gibt es wieder Wolken und das schlägt auf die Stimmung. Zum Glück hat der Beizer neben dem Wegweiser auf 1291m ein Hinweisschild angebracht. So weiche ich für 600m von der Route ab und fahre zur Auberge du Grand-Sommartel.
Was für eine gute Idee! Durchfroren trete ich ein und erwarte einen einfachen Berggasthof. Stattdessen gibt es einen wunderschön dekorierten grossen Festsaal, in dem die Tische mit genügend Abstand platz finden. Ich bin der einzige Gast und werde umsorgt. Das Mittagsmenü mit Fisch und Vorspeise für 17 CHF ist umwerfend und besonders gefallen der frische Blumenschmuck auf jedem Tisch und die hängenden Fahrräder an der Saaldecke. Dazu wärmt der offene Ofen und meine Motivation kehr in Riesenschritten zurück.
Es folgt eine lange Abfahrt vorwiegend über Jurasträsschen und -wiesen via Petit Sommartel, Grand- und Petit Joux in Richtung Westen. Die Route bleibt am nördlichen Hang des Vallée des Ponts. Mir fällt der unterschiedliche Zustand der verschiedenen Bauernhöfe auf – darunter durchaus einige mit dem Prädikat ‚Sauhund‘, wenn es nach dem Schrott-Mist-Gemisch rund um die Höfe geht. Daneben schmucke Häuser als positive Beispiele.
Die Combe Pellaton hinauf ist nochmals ein ziemlicher Effort. Die Asphalt-Radfahrer haben es da leichter, führt deren Route doch um den Hügel herum. Dafür verpassen sie den ‚geheimen‘ Absinthbrunnen im tiefen Wald – ‚La Fontaine Discrète‘. Der ebenfalls Flügel verleihende Apéro aus Absinth und Quellwasser fällt leider wegen COVID-19 aus. 🙁 Ich schaffe den Aufstieg zum Punkt 1195 auch so, wo ein klassischer Schweizer Wegweiserbaum wartet. Ab hier geht es nur noch runter via den Mont de Couvet ins gleichnamige Dorf Couvet (735m). Ich verzichte auf alternative Rutschtrails und nutze das Asphaltsträsschen.
Einquartiert bin ich mangels B&Bs im Hôtel de l’Aigle. Obwohl ich extra online ein grösseres und teureres Zimmer bestellt habe, gibt man mir das Einzelzimmer Marke ‚Abstellkammer‘. Während einer kleinen Diskussion und dank den ‚Beweisbildern‘ von der eigenen Hotelwebseite gibt man mir einen saftigen Rabatt und ich bin zufrieden. Nach einem Dorfrundgang an die Areuse geniesse ich ein gutes Nachtessen mit einem guten Stück Büffelfleisch aus der Region. Das Früstück ist ebenfalls OK und so kann ich mich mit dem Hotel versöhnen – war wohl etwas zu verwöhnt mit den B&Bs der letzten Nächte.
Fazit: Erneut eine super abwechslungsreiche und durchaus sportliche Etappe mit Singletrails, spektakulären Landschaften entlang des Doubs, wahrscheinlich tollen Aussichten auf dem Sommartel und einer langen Abfahrt ins Absinthmekka Val des Travers.
Statistik: 49.8 km, ca. 1127 Höhenmeter, Fahrzeit 4:21 h
Willkommen im Val de l absinth!