Meine Bikeferien finden heuer in verkürzter Form während vier Tagen vor dem 1. August statt. Ziel ist die Region Vallée du Trient. Schon vor längerer Zeit faszinierte mich das Tal, welches Chamonix mit dem Wallis verbindet. Zum Auftakt will ich die Tour ‚Route des Diligences‚ befahren und stehe entsprechend früh auf, was mit einem magischen Sonnenaufgang am Lac de Gruyère belohnt wird. Meine temporäre Homebase habe ich in Vernayaz (453m) und so startet die Tour auf rassigen Trails entlang des Mont d’Ottan, gefolgt vom Aufstieg auf der Strasse von Martigny nach Gueuroz. Das GPS zickt weiterhin rum und lässt sich nur durch Abschalten der GLONASS Satelliten beruhigen (PS: Mit der Update der Firmware auf die Version 5.60 wurde das Problem nun endlich behoben!)
Wie die Anfahrt zeigt, ist das Vallée du Trient auch heute nur über abenteuerliche Strassenbauten erreichbar. Der Pont de Gueuroz überspannt die George du Trient in fast 190m Höhe – eine ingenieurtechnische Meisterleistung, sicher für die alte Brücke von 1934, aber auch die danebenliegende neue Brücke lässt sich sehen. Bevor man links ins Dorf Gueuroz (646m) abbiegt – zwingend die Brücken befahren und staunen!
Es folgt ein gemütlicher Aufstieg auf einer alten Schotterstrasse durch die südliche Flanke des Vallée du Trient. Die Route ist einsam und verläuft völlig im Wald – sehr angenehm an einem heissen Sommertag. Während ich noch über die gnädigen Steigungsprozente sinniere, folgt ab 830m der Hammer – ein sacksteiler, kurviger Anstieg hinauf zum Weiler la Crettaz (1082m). Es kostet ziemlich Überwindung und eine Portion Sturheit um nicht abzusteigen. Ein Blick auf die Karte zeigt wie abgelegen dieser Ort ist und trotzdem hat es heute Morgen erstaunlich viele Leute vor den Häusern.
Der weitere Wegverlauf nach Planjeur zeigt den wahren Charakter der Tour. Die Schotterstrasse verwandelt sich in einen Pfad, der sich den Weg durch die steilen Felsflanken der Schlucht sucht. Immer wieder muss man absteigen und das Mountainbike schieben. Hauptproblem sind nasse Steine und Wurzeln und etwas fehlendes Selbstvertrauen. Der Weg selber ist nur an wenigen Stellen wirklich ausgesetzt aber gefühlt folgt fünf Meter neben dem Weg ein imaginärer Basejump Absprungpunkt in die George du Trient nach dem anderen.
Weiter geht es auf einer gemütlichen Schotterstrasse, die in Richtung der Forclaz Passstrasse und auf einer Brücke von 1931 über die Trient führt. Heute ist diese Strasse der Hauptzubringer zwischen dem Wallis und Chamonix und umfährt damit das Vallée du Trient über weite Strecken. Einige Hundert Meter auf der breiten Strasse sind unvermeidlich, bis bei der Tête Noir das nächste historische Wahrzeichen folgt.
An diesem exponierten Punkt mit weitem Blick ins Tal stand früher das Hotel ‚Tête Noire‘, im 19. Jahrhundert europaweit bekannt, 1964 geschlossen und 1974 vollständig abgebrannt. Aus der Touristenhochzeit stammt ebenfalls der Naturrundweg hinunter in die ‚Gorges Mystérieuses‚. Ich verzichte auf den Ausflug zu Fuss und nehme die alte Passtrasse durch einen eindrücklichen Felstunnel von 1827. Dabei wird der Wanderweg zunehmend abenteuerlicher und ich muss öfters absteigen.
Den Abschnitt vom Pt 1102 bis Barmarosse / Kraftwerk Trient taufe ich im Kopf ‚Goblinweg‘. Der Pfad windet sich verschlungen durch moosbedeckte Felsen und an ein Fahren ist nicht zu denken. Obwohl kurz, ist der Abschnitt echt mühsam und nicht zu empfehlen – die Eisentreppen zum Schluss bestätigen diese Einschätzung. Was sagt das Ride Magazin: ‚Gut tauglich für e-Mountainbikes‘. Ich lache und lache und…! Deshalb mein Tipp: Auf der Strasse runter nach Le Châtelard fahren.
Le Châtelard (1121m) ist zur Zeit geprägt von den Bauarbeiten für das neue Kraftwerk am Lac Emosson. Die zahlreichen alten Baracken des früheren Kraftwerkes ‚Nant de Dranse‘ sind bereits abgebaut und wurden mit den Containerstapel für die Bauarbeiter ersetzt. Das Dorf ist dominiert durch den Ausgleichstausee, welcher auf der Karte schöner ist als in der Realität. Interessantes Detail: Die Landesgrenze zu Frankreich verläuft wenige Meter hinter dem Dorf und nicht wie man vermuten könnte auf der Wasserscheide des Col des Montets (1461m).
Ich bleibe heute auf Schweizer Boden und fahre das steile Strässchen in Richtung Giétroz hinauf. In einer Serpentine überholt mich ein anderer Mountainbiker – und verhinderte, dass ich an dieser steilen Stelle vom Rad ging. Eine kurze Pause gibt es bei der Unterquerung der Standseilbahn über die ich im nächsten Beitrag berichten werde. Beim Chalet Echelle ist das Gröbste geschafft und etwas später erreiche ich auf 1325m den höchsten Punkt der Tour.
Nach einigen angenehmen Kilometer auf dem schönen Strässchen in der Talflanke treffe ich in Finhaut ein. Helene, die Wirtin des Restaurant Beau-Soleil serviert mir ein Mittagessen. Das Restaurant ist ein echtes Unikum und ich geniesse die Sonne auf der Terrasse, das Cordon Bleu und die tolle Rösti. Die Wirtin gibt mir Lesestoff über das Dorf und die Region und ich lerne einige Kuriositäten, wie beispielsweise die Tatsache, dass hier das Trinkwasser so radioaktiv aus dem Fels kommt wie sonst nirgends in der Schweiz. Das war früher das Alleinstellungsmerkmal für Gesundheitskuren in Finhaut. 😉
Gestärkt schaffe ich die letzten Höhenmeter bis ins Oberdorf und zum Einstieg in die historische Route des Diligences. Der Postkutschenweg führt nun auf Schotter und in vielen Kehren hinunter nach Le Trétien (1021m). Immer im Blick das Trassee der Martigny – Châtelard Bahn, deren Geleise sich ebenfalls durch die steile Talflanke kämpfen. Man sieht dem Weg die historische Wichtigkeit an. Die Steigung ist sorgfältig austariert und eindrückliche Trockenstützmauern und Randsteine säumen den Weg. Besonders Spass machen die Spitzkehren bei La Cha.
Nach Trétien ist der Weg wieder asphaltiert und führt durch die Gorges du Trièges, ebenfalls einen kurzen Halt wert. Weiter durch eine Steinschlaggalerie zurück in die Menschenmassen. Der Zoo und das Felsenschwimmbad Les Marécottes sind an diesem warmen Sommertag ein Ausflugsmagnet für Familien. Ich vermeide die Hauptstrasse und fahre auf Nebenwegen hinunter nach Salvan (929m), wo es neben der Kirche nochmals ein kühles Cola gibt.
Das Dessert folgt in Form der Abfahrt auf der Route de Diligence, die sich auf 37 beschrifteten Spitzkehren runter ins Tal nach Vernayaz windet. Was bereits auf der Karte eindrücklich aussieht, ist in der Realität noch viel interessanter. Was für ein Bauwerk aus dem Jahre 1867! Nicht minder spannend die Zahnradbahn, welche dank eines Kehrtunnels ebenfalls die Höhe überwindet. 1906 wurde die Bahnlinie gebaut und machte damit den Postkutschenweg de facto überflüssig. Schön hat der Weg bis heute überdauert. Die Route de Diligence ist sowohl ein bekannter Wanderweg, wie auch eine Etappe der Via Cook und liegt damit am Urspung der Schweizer Tourismusgeschichte.
Dieser Fotostopp mit einem wunderbaren Ausblick hinunter bis Saint-Maurice darf man trotz dem Abfahrtskurvenrausch nicht verpassen. Gelegenheit um die Tour in Gedanken Revue passieren zu lassen. Beim Kraftwerk Vernayaz ist der Spass zu Ende. Der Talboden, auf dem die Aprikosenplantagen ihren süsslichen Duft verströmen, hat mich wieder.
Wer noch Lust auf mehr hat, biegt links auf den spassigen Waldtrail zum Wasserfall Pissevache ein. Im Wald vor dem Wasserfall finden sich die Ruinen eines alten Holzverarbeitungsbetriebs, der von der Wasserkraft profitierte. Eigentlich wollte ich aus Nostalgie im Hotel La Cascade übernachten, in welchem ich schon vor Jahrzehnten in den Vor-Mountainbike-Zeiten war und damals die ganze Umgebung zu Fuss erkundet hatte. Heute ist das Hotel leider geschlossen, wie übrigens auch der daneben liegende Campingplatz.
Hoffentlich ist das nicht für immer so, denn der Wasserfall ist weiterhin eine Augenweide und man kann sich trotz alter Bilder kaum vorstellen, wie früher die Salanfe ins Tal schoss, bevor das Wasser für den Stausee und die Stromproduktion abgezweigt wurde.
Müde und zufrieden fahre ich ins Hotel. Nach dem Duschen muss ich feststellen, dass es mitten in den Sommerferien an einem Montag in Vernayaz nirgends etwas zu essen gibt! Also ab in den Zug und auf eine gute Pizza nach Martigny.
Fazit: Wer den Beitrag bis hier unten gelesen hat, begreift wie spannend und abwechslungsreich diese Tour ist. Es gibt einen uneingeschränkten Daumen hoch!
Statistik: 41.4 km, ca. 1375 Höhenmeter, Fahrzeit 4:47 h
Hoi Spoony
Vielen Dank für diesen wunderschönen Beitrag. Nun weiss ich endlich auch, dass man auf diesem Pfad von Gueuroz, welchen ich schon oft auf der Karte verfolgt habe, auch durch diese Flanke kommt. Deine Entdeckungsreisen zeigen auch immer wieder, dass man nicht immer auf 2’500 M.ü.M. biken muss, um spannende Trails zu finden. Auch die Fahrt mit dem Mont-Blanc-Express durch das Vallée du Trient ist sehr eindrücklich, wie ich schon zwei Mal erleben durfte.
Danke für dini tolle Tipps no alles guete fürs neue Jahr witer so
Ferdinand El Amante Danke, ich gebe mir Mühe, bin aber ziemlich hinterdrein mit Bloggen. 😉