Hinweis: Die Strecke Schynige Platte – Faulhorn – Grindelwald-First ist einer der meistgenutzten Wanderwege des Berner Oberlandes. Die Strecke ist oder war mindestens teilweise mit einem expliziten Bikeverbot belegt. Deshalb sollte diese Tour, wenn überhaupt, nur in der Zwischensaison (wenn die Bahnen geschlossen sind) und an Wochentagen befahren werden.
Mitte November und immer noch kein Schnee in den hohen Lagen. Die Bergbahnen sind geschlossen und die Wintersportorte liegen im Zwischensaisonschlaf. Ideale Voraussetzungen um ein Wanderklassiker des Berner Oberlandes mit dem Mountainbike zu befahren. Ich nehme einen Ferientag und fahre rechtzeitig zum Tagesanbruch nach Grindelwald, wo selbst in der Nebensaison die Parkplätze zu bezahlen sind. In Grindelwald Grund (943m) ist es in der Nacht bereits frostig kühl und warm eingepackt fahre ich los.
Es folgt der Aufstieg ins Dorf und dann geht es sehr lange weiter bergauf bis auf die Grosse Scheidegg (1962m). Grindelwald liegt bleiern im kühlen Morgen, die Hotels sind fast ausnahmslos geschlossen und auf den Strassen sieht man kaum jemand. Zum Glück hat das Hotel Blüemlisalp noch geöffnet und so komme ich doch noch zu einem warmen Frühstückskaffee. Die mächtige Nordwand des Wetterhorns begleitet fortan den Aufstieg.
Beim Hotel Wetterhorn steht ein interessanter Zeuge der Schweizer Bahngeschichte – die Gondel der Wetterhornbahn. Hoch am Berg sieht man noch heute die eindrückliche Bergstation, die wie ein Adlerhorst aus der Wand ragt. Der Wetterhorn-Aufzug war die erste Personenseilbahn der Schweiz – da lohnt sich ein kurzer Stopp um die Infotafel an der Kabine zu lesen.
Tausend Höhenmeter später stehe ich trotz der Kälte ziemlich verschwitzt auf der grossen Scheidegg beim geschlossenen Restaurant. Ein Blick hinunter nach Grindelwald, ein Blick hinunter ins Haslital – und weiter geht es. Es wartet der tolle Höhenweg und Singletrail hinüber auf die First.
Viele Worte gibt es über diese Bergwelt nicht zu verlieren, die Bilder sprechen selber. Was heute auffällt ist die absolute Ruhe. Da hört man keine Kuhglocke und kein Menschenlärm – extrem friedlich liegt die Landschaft da.
Die Ruhe gefällt auch den Gemsen, die ich überall beobachten kann. In Gruppen ziehen sie über die braunen Berghänge des Wetterhorns. Oberhalb schaut mir eine Gemse zu, wie ich über den verlassenen Singeltrail jage. Hoffentlich gibt es keine spöttischen tierischen Bemerkungen wie von den Bündnern Steinböcken. 😉
Endlich blinzelt die Sonne hinter dem Wetterhorn hervor und sofort steigen die Temperaturen auf angenehme Werte. Der richtige Zeitpunkt um auf einem Bänkli beim Distelboden hinzusitzen und etwas zu Essen. Ich habe natürlich vorgesorgt, denn heute wird man hier nichts kaufen können. Vor dem Hintergrund der Eigenordwand schiesse ich einige epische Bikebilder. Einfach sooo schön!
Die Tiere kennen die Saison genau und sind hier heute mitten im Winterskigebiet scheinbar völlig ohne Scheu. Unter mir zieht eine Gemsherde ruhig über die Wiese und ein wenig später trottet ein Fuchs während Minuten in etwa 20 Meter Distanz an mir vorbei, immer wieder interessiert in meine Richtung schauend. So etwas ist mir mitten am Tag noch selten passiert.
Nochmals in die Pedale getreten und ich stehe auf der Terrasse des Berghauses First (2165m). Die Ruhe und die Abwesenheit von Menschen an diesem Ort ist surreal. Ich war schon länger nicht mehr hier und bin erstaunt über den sogenannten First Cliff Walk. Die neue Attraktion auf der First wurde erst vor einigen Wochen fertiggestellt und ist eine eindrückliche Konstruktion. Zuvorderst auf der wackeligen Plattform auf einem Glasboden stehend, schnellt auch mein Puls etwas in die Höhe. Wie mag das wohl auf die ausländischen Touristen wirken?
Na Ja, man kann über solche Kunstbauten in den Alpen geteilter Meinung sein, inmitten eines Winterskigebietes ist das für mich jedoch in Ordnung. Ab hier beginnt nun die für Mountainbike gesperrte Wandererautobahn hinauf zum Bachsee. Das noch vor zehn Jahren vorhandene Bikeverbotsschild suche ich heute vergeblich. Keine Ahnung, ob es definitiv weg ist oder ob man es nur für den Winter abmontiert hat.
Hinten am Bachsee (2265m) muss ich erneut eine länger Pause einlegen. Einfach zu schön ist die Landschaft und zu grossartig die Ambiance. Hier kommt mir der erste von drei Menschen entgegen, denen ich heute begegne. Ein Bergläufer joggt vom Faulhorn herkommend an mir vorbei (die anderen zwei sind Mountainbiker, die ich auf der Rückfahrt kreuze). Ab dem Seeende steigt der Karrweg steil an und ich muss einige Abschnitte bis zum Gassenboden (2552m) schieben. Zudem hat sich im Schatten der erste Schnee angesammelt und die gefrorenen Abschnitte sind nicht fahrbar.
Noch eine Kurve und man sieht auf dem flachen Berg namens Faulhorn (2681m) die Häusergruppe des Berghotel Faulhorn. Von unten erinnert das irgendwie an ein Kloster. Heute ist man sich in den Bergen solche Gebäude ohne Bergbahnzugang nicht mehr gewohnt. Keine Ahnung, wie man hier im Jahr 1830 ein Hotel erbauen konnte – da mussten wohl einige Gastarbeiter Steine schleppen.
Auf dem höchsten Punkt hat man einen fantastischen 360° Panoramablick ins Berner Oberland und hinüber zum Brienzersee und weiter ins Emmental und ins Mittelland. Der Wind pfeift nun zügig durch die Gemäuer und ich suche etwas Schutz zwischen den mächtigen Mauern.
Die Bergdohlen sind begeistert über den späten Besucher, der auf der Terrasse sein Sandwich isst und so gehört den Mutigsten unter ihnen ein kleines Brotdessert. Der Blick in Richtung weiteren Streckenverlauf und runter zum Berghaus Männdlenen macht mir Sorgen. Die Nordseite ist schneebedeckt und der Weg führt einige Meter durch ein Felsband. Nach intensivem Kartenstudium und mit Blick auf die Uhr entschliesse ich mich, den Versuch nicht zu wagen und umzukehren. Wenn mir hier heute etwas passiert, findet man mich frühestens bei der Eröffnung der Skisaison. 😉
Die Tour hat bereits viel mehr gebracht als ich mir versprochen hatte und die Abfahrt auf den Singletrails hinunter zur grossen Scheidegg wird ein Riesenspass. So sattle ich mein Bike und fahre mit einem Flowlächeln auf dem Gesicht hinunter und rüber auf die Scheidegg. Zum Tagesabschluss gibt es noch eine technische Abfahrt auf einem sehr schmalen Wanderweg runter nach Grindelwald (PS: Auch dieser Weg ist definitiv für Mountainbiker ungeeignet und Wanderer zu kreuzen ist sehr schwierig. Zudem gibt es ein Abschnitt, der auf der Karte zu recht mit ‚Schmale Ritt‘ bezeichnet ist).
So endet eine fantastische spätherbstliche Mountainbiketour inmitten eines zu normalen Zeiten völlig überlaufenen Ski- und Wandergebietes. Aber heute war hier einfach NIEMAND – eine tolle Erfahrung und ein würdiges Ende für die eigentliche Bikesaison 2015.
Statistik Tour: 46.5 km, ca. 2050 Höhenmeter, Fahrzeit 5:27h
Danke für die Anregung. War gestern von der Schwarzwaldalp aufs Faulhorn gefahren. Es hat noch 3 Stellen mit Schnee aber sonst war es ein Hit.
Werde das nochmals wiederholen aber dann vielleicht mit einer Fahrt Richtung Schynigge Platte oder Bussalp.
Gute Idee, die Zwischensaison für diese schöne Tour zu nutzen!
Besten Dank euch allen für die positiven Kommentare. Das motiviert immer wieder, solche relativ umfangreichen Beiträge zu posten.
Wunderschöner Bericht mit herrlichen Bilder, danke. Ich liebe diese Stimmung um diese Jahreszeit, wenn kein Mensch mehr unterwegs ist und sich die Wildtiere wieder zeigen. Wahrlich ein würdiger Saisonabschluss, wie man sich ihn wünscht. Auf das Faulhorn führte eine meiner erste Biketouren anno 1987, http://ventoux.veloblog.ch/gallery/173/Faulhorn5.JPG.
Hoi 20toux ja das waren noch Zeiten als man mit solchen „cancelli“ Gattern auf die Berge fuhr. Erinnerungen werden wach meine ersten Fahrten auf den Tamaro mit meinem Weehler 3000 anno 1990. Es ging, heute ohne Fully fast nicht mehr denkbar ???
Da wartst Du gar nicht „Faul“ auf das Horn zu biken !! Spass beiseite guter Bericht mit grossartigen Fotos in einer Landschaft der Superlative. Das mit dem Wetter ist schon krass dieses Jahr, ich kam mitte Okt. von Spanien heim und hatten ganze 2mm Niederschlag bisher in Lugano ????
WOW, super bilder und erst noch mit tierischer begleitung 8)
da hast du ja den optimalen zeitpunkt erwischt, merci für die impressionen und hintergrundinfos.
super Bericht,merci!👍