Zwei Tage vor den Weihnachtsferien – die Wetterfrösche melden weiterhin massiven Föhn und damit beste Gelegenheit um am Donnerstag einen Freitag einzuziehen. Auf dem Programm steht die legendäre Sept-Bisses-Tour – entlang von sieben Suonen von Leuk nach Sion, motiviert auch durch Rotscher. Ideal in dieser Jahreszeit, da es relativ viel Wanderer – Biker Konfliktpotential gibt und diverse Walliser Gemeinden die Suonen explizit für Mountainbikes gesperrt haben. Ich parkiere beim Bahnhof Leuk (623m), der Föhn pfeift in Sturmstärke durchs Tal, der Thermometer zeigt um 0800 Uhr 15°C!
Auf dem Trassee der 1967 eingestellten Bahnstrecke der Leuk – Leukerbad – Bahn (Hintergrundinfos) geht es zahnradtypisch steil hinauf in Richtung Leuk – Stadt, wobei es sich natürlich eher um ein Dorf handelt. Durch einen Tunnel und in einem grossen Bogen führt das Trassee am Schloss Leuk vorbei. Auf dem Schlossturm funkelt ein leuchtturmähnlicher Glaskristall im fahlen Morgenlicht. Ich liebe diese Dezemberstimmung mit den milchigen Bergen und den braunen Hängen. Ob Leuk hat man einen tollen Blick über das Illhorn, den Pfynwald und den Rotten.
Weiter geht es ins linguistische Niemandsland zwischen dem Graben der Dala und der La Raspille. Die Flurnamen rund um Varen (Varonne) und Salgesch (Salquenen) sind ein urtümlicher Mix aus Walliserdeutsch und Französisch. Beispiele? Taschonieren, Pflantschang, Tschangerang, Raffilji… 😉 Die Dalaschlucht mit der heutigen imposanten Brücke (723m) war und ist als natürliches Hindernis sicher nicht unschuldig, dass die Sprachgrenze hier ist. 1739 wurden abenteuerliche Leiter (heute ein Klettersteig) in die Felswände gebaut um die Schlucht zu überwinden. Auf ihnen flüchtete 1799 ein Teil der Varner Bevölkerung vor den Franzosen ins Oberwallis.
Ich fahre für den schönen Dorfkern von Varen eine Zusatzrunde. Am Sportplatz vorbei gewinne ich Höhe, hinauf nach Taschonieren, wo auf 979m die erste Suone beginnt, die Grossi Wasserleitu bzw die Bisse de Varone. Ob Salgesch traversiert die Suone eine riesige Felsplatte, der Varnerplatten, mit interessanter Vegetation. Die Suone wurde richtiggehend aus dem Fels gemeisselt und bildet, dank dem zugeführten Gletscherwasser, ein gut sichbares grünes Band. Natürlich sind alle Suonen im Dezember bereits ‚wintersicher‘ und mehrheitlich wasserlos. Rotsockencounter: Null.
Am Raspille Bach endet die Suone und die nächste beginnt. Ein kleiner Steg führt zur Bisse Neuf und entlang des Sentier de Bénou. Auf farbenfrohen Tafeln wird App-gestützt das lokale Ökosystem und die Geschichte der Suonen erklärt. Speziell gefällt mir das Schild bezüglich Trail Tolerance zwischen den verschiedenen Nutzern der Suonenwege. Sehr schön, weil entgegen der landläufigen Meinung mir heute weder ein Bikeverbot noch ein mürrischer Wanderer entgegen kommt.
Von 991 Meter fällt die Suone in vielen Bögen nach Venthône auf 869 Meter. Es liegt in der Natur der Suonen, dass sie abwärts – und mit Schwung gefahren – immer das volle Flowpotential haben. In der Bisse Neuf fliesst teilweise noch Wasser. Interessant wie mit verschiedenen Schiebersystemen und Wasserabzweigern die Felder bewässert werden. Rotsockencounter: 1 Wanderer und 1 Mountainbiker.
Für einen kurzen Abschnitt bleibt die Route nach Venthône suonenlos. Erst geht es durch einen schönen Wald, danach durch Reben und einige Quartiere hinüber zur Standseilbahn, die nach Crans-Montana rauffährt. Die Zwischenstation Darnona ist menschenleer, wie alles heute. Erwähnenswert, die kurze Strecke auf der alten Fahrstrasse nach Crans-Montana durch das Naturschutzgebiet Maressouey. Ob Loc biegt man auf den nächsten kurzen Singletrail entlang einer namenlosen, alten Suone ein.
Trotz GPS Track verfahre ich mich im Suonengewirr im Wald oberhalb von Corin-de-la-Crête. Zur Strafe muss ich das Bike einige Höhenmeter einen steilen Weg raufschieben. Der Weg wirft mich in Chermignon-d’en-Bas aus dem Wald. Dank Balkonlage keine arme Gemeinde, wie mir scheint. Auf der Hauptstrasse geht es ein kurzes Stück bis zum Fussballplatz, der unnatürlich flach in diesem steilen Gelände liegt. 😉
Direkt hinter dem Fussballplatz startet die Grand Bisse de Lens auf einem wunderbar ausgebauten Spazierweg entlang der Suone. Hier steigt der Rotsockencounter auf rund acht Spaziergängerinnen, denen ich höflich Platz mache. Dazu ergibt sich noch das eine oder andere kurze Gespräch über das Wetter und das milde Klima. Die Grosse Suone ist uralt, aus dem Jahr 1450, wird unterhalb des Lac de Rawil in der La Liène gefasst und fliesst kilometerlang rund um den Le Châtelard bis nach Chermignon.
Ich fahre andersrum, obwohl die ‚Steigung‘ kaum spürbar ist. Auf halber Strecke geniesse ich auf einer Bank die zunehmend toller werdende Aussicht in luftiger Höhe. Das Highlight ist der ‚Wendepunkt‘ auf 1029m hoch über St-Léonard, markiert mit einem grossen N in der Landschaft. Hier sollte man übrigens nicht weiterfahren, die Bisse wird spektakulär, ausgesetzt und nicht biketauglich (Die Emmentaler tun’s trotzdem). Diverse Varianten inklusive Aufstiege zur Statue ‚Christ-Roi‚ findet man beispielsweise bei Rotscher.
Ich nehme deshalb den sinnvollen Exit und fahre auf einem steilen Trail ein Stockwerk runter zum Punkt 921. Ab hier führt ein ebenfalls toller Singletrail immer tiefer in den Forêt des Clives. Dabei geht es links schon mal steil runter ins Tal der Liène. Anstatt durch die Felswand, wie die Bisse de Sillonin, fahre ich auf einer steilen Schotterstrasse durch den Wald bis zum Bach runter. Hier liegt tatsächlich noch der einzige Schnee des Tages.
Was folgt ist der Höhepunkt der Tour und ein Mountainbike Klassiker, der berühmte Tunneleinstieg in die Bisse de Clavau. Der obere Eingang ist halb zugeschüttet und je nach Bike muss das Vorderrad ausgebaut werden. Zu dieser Jahreszeit ist zudem die solarbetriebene Beleuchtung bereits abgeklemmt und eine Lampe zwingend.
Nachdem der Tunnel geschafft ist, folgen einige ausgesetzte, gut gesicherte Abschnitte, bevor sich die Clavau beinahe endlos lange bis nach Sion durch die Rebberge zieht. Im unteren Abschnitt ist übrigens ein nicht signalisiertes Bikeverbot, was aber an diesem Tag kein Thema ist. Rotsockencounter bis Sion: Zwei Jogger und drei Wanderer.
Die Suone ist super flowig und in den Reben gibt es sehr viel zu sehen. Je näher Sion kommt umso eindrücklicher sind die riesigen Natursteinmauern, welche den steilen Flanken die vielen Quadratmeter Rebfläche abtrotzen. Dazu kommt eine tolle Aussicht auf die Rhône, die Aprikosenhaine sowie die beiden Burghügel von Sion. Bei der Hauptstrasse angekommen verzichte ich auf eine Verlängerung über die Bisse de Lentine und fahre mitten durch die Altstadt zum Bahnhof und bin in wenigen Minuten mit dem Zug zurück in Leuk.
Fazit: Die sieben Suonen Tour ist ein 40km Singletrailtraum, selbst in der abgekürzten Version. Da erübrigt sich jeder weiterer Kommentar ausser dem nochmals dringenden Hinweis die Tour nur zu absoluten Randzeiten zu fahren – zum Beispiel fünf Tage vor Weihnachten!
Statistik: 44 km, ca. 922 Höhenmeter, Fahrzeit 4:31 h