Ich bin am Freitag beruflich in Thusis und so profitiere ich vom schönen Novemberwetter, nehme zwei Tage spontan Urlaub und flüchte aus dem Hochnebeltopf entlang der Aare ins wunderbare Domleschg. Das Auto deponiere ich frühmorgens bei der Unterkunft in Almens (786m) und los geht es auf eine interessante Biketour. Damit kann ich zwei Punkte auf der To Do Liste auf einmal abhaken. Erstens wollte ich nach einer Wanderung die Viamala mal mit dem Mountainbike bezwingen. Zweitens war der Alte Schyn bei meinen Lenzerheide-Aufenthalten schon seit Jahren auf der Tourenliste.
Über Fürstenau, bei Caminada vorbei, (der selbst in Coronazeiten immer ausgebucht ist), geht es an und danach über den Rhein nach Thusis (697m). Beim Holzsteg über den Fluss wurde jüngst das Trailcenter Thusis eröffnet. Die Anlage sieht wirklich interessant aus, leider schaffe ich es während den zwei Tagen trotz guter Vorsätze nicht mehr hier Fahrtechnik zu üben.
Hinter Thusis biege ich auf die alte Viamalastrasse zum Verlorna Loch ein. Die Strasse ist gesperrt und ich ignoriere mutig die Absperrung. Leider gibt es zu diesem Weg für Mountainbiker keine Alternative und so bin ich froh, dass an der alten Strasse ein minimaler Unterhalt gemacht wird. Bei der eigentlichen Baustelle sind die Arbeiter zum Glück beim Znüni und so stört sich keiner am einsamen Biker. Ich folge dem GPS Track der Tour Summapunt von Bike Viamala, die auf ihrer Webseite so einige spannende Touren zusammengetragen haben. MERCI!
Ein kurzer Halt in der Viamalaschlucht und danach gibt es zur Hauptstrasse keine Alternative mehr. Zum Glück hält sich der Verkehr in Grenzen. Die Schlucht ist kalt, gar eisig und zeitlos spektakulär. An den braungelben Lärchen spürt man den letzten Hauch des goldenen Herbstes. Ich bin froh, dass sich das Val Schlons bei Zillis (944m) öffnet und endlich die Sonne erscheint. Während ich noch die Abfahrtszeiten des Postautos checke, fährt dieses vor. Was für ein Masken-, Ticketkauf-, Bikeeinladestress – dafür wirklich Just in Time!
Das Postauto fährt mich ins Dorf Lohn (GR nicht SO) auf 1586m. Es wird sich noch zeigen, dass diese 600 Höhenmeter mit dem Postauto sehr gut investiert waren. Ohne hätte ich die Tour wohl nicht geschafft und selbst im Sommer dürfte der Aufstieg am Sonnenhang kein Spass sein. Gemütlich geht es auf Forst- und Feldwegen immer höher bis nach Summapunt (1922m). Wie üblich geniesse ich die Einsamkeit, die im November auf diesen Höhen meist garantiert ist.
Ein Meter über dem Abgrund ins Val Baselgia raste ich länger auf einem Bänkli. Bis hier hinauf musste früher, wer die Viamalaschlucht flankierend umgehen wollte. Auf diesem alten Weg geht es nun runter in die Schlucht. Ein Schild warnt den Biker und spricht die Fahrtechnik und blockierende Hinterräder an. Gefällt mir! Trotzdem dürfte hier oben kaum einer wieder umkehren.
Im oberen Teil ist allerdings die Hauptherausforderung nicht die Fahrtechnik, sondern die Klettertechnik über umgestürzte Bäume. Zudem ist es saisonal ziemlich sumpfig und das hohe Gras lässt nur eine kleine Fahrrinne offen. So ist tatsächlich wegen versteckten Steinen und Wurzeln vorsichtiges Fahren angesagt.
Der untere Teil ist entweder Top oder Flop. Alle Streckenabschnitte, die noch auf dem Trassee des alten Karrweges verlaufen sind toll. Leider rutscht der Berg beim Tröglitobel sehr stark ab und der Wanderweg nimmt deshalb die direkte Linie statt der alten Serpentinen. Diese Passagen sind steil, treppig und wer den Weg nicht noch mehr zerstören will, schiebt oder trägt besser das Bike. Dafür erschreckt man die zahlreichen Gämsen weniger, welche hier überall rumstehen. Das Gesamterlebnis auf dieser historischen Route ist in jedem Fall einzigartig, schliesslich fährt man fast direkt in die Viamala ab!
Kurz vor der Hauptstrasse endet die Abfahrt mit einem kurzen und knackigen Aufstieg nach Rongellen. Es folgt ein Trailspass rund um die Eggahöhi, immer der Abbruchkante ins Gitziloch entlang. Schon bald gibt es tiefschweifende Blicke nach Thusis und hinüber zur Burg Hohenrätien. Der Trailspass endet auf der Landstrasse, einen Kilometer vor Thusis. Rassig geht es runter an den RhB Bahnhof zu verdientem Kaffee mit Kuchen.
Zwischenfazit: Eine sowohl fahrtechnisch wie landschaftlich herausragende Tour mit hohem Abenteuerfaktor (und einigen unausweichlichen Strassenkilometern). Wie die harten Jungs (Stichwort Nachmittagsrunde) 😉 diese Tour fahren, lässt sich bei Vivalagrischa und Rotscher nachlesen.
Danach geht es wieder in den Zug um die nächste Schlucht zu überbrücken. Die Hauptstrasse von Thusis nach Tiefencastel (891m) ist für Fahrräder gar kein Spass. Dafür staune ich erneut über die Rätische Bahn: Die kann Mountainbiken! Im neu aussehenden Zug sind mehrere Halbwagen als Bikeabteile ausgestattet – schöne Holzfournierung zum Schutz der teuren Karbonrahmen inklusive. Top!
Für etwas mehr als zwei Kilometer geht es auf der Hauptstrasse hinauf zur Kirche von Alvaschein. Hier öffnet sich ein schönes Panorama in Richtung Obervaz. Auf der Via Alvaschein und sichtbar auf einem historischen Weg, fahre ich hinüber nach Muldain. Einzig der kleine Graben des Val Caroia muss noch überwunden werden.
Beim Wegkreuz Pleuna (1168m) kann man nochmals den Segen für den Alten Schyn erbitten, früher die einzige Verbindung von Thusis ins Albulatal. Hier komme ich länger mit einem anderen Mountainbiker ins Gespräch und wir sind uns einig – solche Novembertage sind einfach nur genial für unser Hobby!
Der Alte Schyn ist ein breiter Weg, der hoch über der Albula die Felswand durchzieht. Die heutigen Tunnels datieren aus den 1920er Jahren. Mehr Informationen gibt es wie immer im Inventar der historischen Verkehrswege. Ich bin etwas erstaunt über das Auf- und Ab des Weges und so kann ich gar nicht sagen in welcher Richtung er ‚besser‘ zu fahren wäre. Am Schluss ist der Trend trotzdem klar – auf Highspeed Schotter geht es runter nach Scharans (765m). Wer möchte könnte im Wald zusätzliche Höhenmeter und Trails mitnehmen.
Ich habe genug und fahre in der Abendsonne, erneut auf einem alten Verkehrsweg, hinüber zum Landhus Almens. Rechtzeitig zu Sonnenuntergang, Finisherbier und Zigarre. Es folgt ein gutes Nachtessen und ein tiefer Schlaf im Arvenholzzimmer für 115 CHF. Was für ein Biketag!
Statistik: 57.9 km, ca. 1366 Höhenmeter, Fahrzeit 4:46 h, 2207 Abfahrtshöhenmeter